Prolog

 

2005, München

 

 

 

Nik

 

 

 

Der Steg ist angenehm warm und bietet einen Wahnsinnsblick über den ganzen See. Mein Lieblingsort, abgesehen vom Motocross-Gelände hinter der Stadt. Mit beiden Füßen im Wasser, lassen wir uns von der Sonne trocknen. Unsere Motorräder haben wir vorne am Kiesweg stehen lassen, dort stören sie nicht und wir haben sie bestens im Blick.

 

„Hey, Nik, du hast dich irgendwie verändert oder bilde ich’s mir ein, Mann?“, fragt mich Trevor, mein bester Kumpel, und knufft hart in meine Seite.

 

„Ich schüttele ihn ab, zucke mit den Schultern. Weil ich nicht weiß, was ich antworten soll, schließe ich kurz die Augen und lehne mich zurück.“

 

Verdammt, ich dachte, schwimmen gehen, würde mich ablenken und jetzt spricht mich ausgerechnet Trevor darauf an. „Quatsch, alles cool“, lüge ich und hoffe, dass ich das gerade richtig überzeugend rübergebracht habe.

 

„Erzähl mir doch keinen Scheiß! Ich kenne dich jetzt schon so lange. Irgendwas ist im Busch. Es steht dir ins Gesicht geschrieben. Du siehst echt übel aus! Hast du letzte Nacht überhaupt geschlafen?“

 

Ohne ihn anzusehen, lasse ich meinen Blick über das Wasser gleiten, das wie ein riesiger Spiegel die Sonnenstrahlen reflektiert.

 

Klar ist was im Busch, etwas, das ganz und gar nicht in Ordnung ist, aber das werde ich Trevor bestimmt nicht auf die Nase binden. Ich muss die Sache allein regeln. Ein für alle Mal, Schluss, Aus.

 

Trevor taucht einen Fuß ins Wasser, holt weit aus und spritzt mich von oben bis unten nass. „Es liegt an den beiden Mädels, oder? Welche von beiden raubt dir die Nächte? Die Blonde oder die Rothaarige?“

 

„Du brauchst dir um mich keine Sorgen zu machen, Kumpel.“ Ich beuge mich über Trevors gerade getrockneten Bauch und schüttele mir die Wassertropfen wild aus den Haaren.

 

„Hör auf damit!“ Trevor stöhnt laut auf, jammert und lacht. „Vielleicht sollte ich mir aber Sorgen um die Mädels machen?“ Er rubbelt seinen feuchten Bauch mit einer Hand panisch trocken. „Schade, dass deine neuen Schwestern jetzt nicht hier sind. Ich hätte sie wahnsinnig gern im Bikini gesehen.“

 

Ich schiele zu Trevor hinüber. Wenn er wüsste, wie froh ich bin, dass sie heute nicht dabei sind! Und das alles, nur wegen meinem Dad! Er bringt nicht nur, mir nichts dir nichts, eine neue Frau nach Hause, sondern ihre Töchter gleich mit! Und mich? Hat mich jemand gefragt, ob ich den großen Bruder spielen will?! Ob ich das überhaupt kann? „Wen schert es schon wie sie aussehen?!“

 

„Dich natürlich nicht, Mann“, sagt Trevor gespieltem Gleichmut in der Stimme, legt sich auf den Rücken und setzt seine Sonnenbrille auf. „Deswegen bist du auch seit Wochen so …“, er imitiert ein aufreizendes Stöhnen, „…  gereizt.“ Mit geschlossenen Augen macht er jetzt eindeutige Hüftbewegungen. „Die knackige Blonde ist schon verdammt heiß! Wie heißt sie noch mal? Das war so ein komischer Name … ach ja, Freia.“

 

„Die ist noch ein kleines Mädchen!“ Meine Stimme ist lauter geworden, als mir lieb ist.

 

Ein Mädchen mit wunderschönen hellblonden Haaren, weit auseinander stehenden grünen Augen und dem knackigsten Arsch, den ich je bei einem Mädel gesehen habe. Ein Mädchen, das auf Bäume klettert, unseren Rasen mäht und nicht herumzickt, wenn sie sich in den Finger schneidet. Ein junges Ding mit tollen langen Beinen und einem Mund, der eigentlich viel zu groß ist. Und der mich andauernd provoziert, selbst wenn sie nichts sagt. Nur meistens sagt sie mir knallhart die Meinung.

 

„Erstens, mit 17 ist sie kein kleines Mädchen mehr. Zweitens, du solltest noch nicht mal daran denken.“

 

„Woran?“ Trevors Stimme lässt mich zusammenfahren.

 

„Das weißt du ganz genau, Nik!“

 

„Hör mir zu, Trevor. Ich habe versprochen den großen Bruder abzugeben und das mache ich. Nicht mehr und nicht weniger. Die beiden sollen ein neues Zuhause haben und sich bei uns wohl fühlen. Alles andere ist doch Schwachsinn! Basta.“

 

Trevor schenkt mir ein unterdrücktes Grinsen. „Na dann, auf dein Wort, Kumpel.“